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Intendanten

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Achim Thorwald (1976-1985)

Autor: Friedhelm Röttger

Ein Originalbeitrag anlässlich
des 100-jährigen Jubiläums 2019

Dass man in einem Bewerbungsschreiben sein Licht nicht unter den Scheffel stellt, leuchtet ein. Folgerichtig selbstbewusst liest sich der Brief, den Achim Thorwald am 12. September 1975 an den damaligen Esslinger Oberbürgermeister Eberhard Klapproth schrieb, in dem er sich um die Position des Intendanten der WLB Esslingen bewarb:

„Am 23. September 1943 als dritter Sohn des Stuttgarter Staatskapellmeisters Josef Dünnwald geboren, drehte sich mein Leben von Kindheit an um das Theater. Mit sechs Jahren stand ich zum ersten mal auf der Bühne. Es folgten bis zu meinem 18. Lebensjahr alles an Kinder- und Jugendrollen, was es am Staatstheater Stuttgart zu spielen gab“. Nach einem Schauspielstudium am Salzburger Mozarteum und einem Studium der Kunst-, Literatur-, Musik- und Theatergeschichte in Hamburg arbeitete er als Schauspieler und Regieassistent an den Städtischen Bühnen Nürnberg, bevor er koordinierender Oberspielleiter des Schauspiels an den Städtischen Bühnen Freiburgs wurde. Aus einem Kreis von 43 Mitbewerbern wurde Achim Thorwald schließlich ausgewählt. So wagte der junge Theaterleiter den Sprung von Freiburg nach Esslingen.

„Theater wirkt in seiner Zeit und seiner Umwelt. Ein Theater, das sich vornehmlich der Pflege bestimmter Traditionen widmet und darüber den Kontakt zur Gegenwart verliert, verkennt sein eigentliches Wesen. Das Sprechtheater, in dem der Dialog – auch mit dem Publikum – die wichtigste Funktion innehat, darf sich der Aufgabe nicht entziehen, den Menschen zur Stellungnahme sich selbst und seiner Gesellschaft gegenüber zu provozieren. Deshalb müssen die dargestellten Vorgänge und Probleme auf der Bühne aktuelle, das heißt auf reale Vorgänge und Probleme der Gegenwart anwendbar sein – einerlei ob das jeweilige Stück in einem historischen, zeitlosen oder gar utopischen Raum angesiedelt ist. Aktuelles Theater, wie wir es sehen, wird auch einen Aspekt mitenthalten, der gleichsam Züge eines neuen Daseinsentwurfs oder, schlicht gesagt, den Zug der Hoffnung trägt. Theater ist ein Spiel der Möglichkeiten“ (Heinrich Staehle).
Und dieser Zug der Hoffnung beflügelte unsere Arbeit in den ersten Jahren unserer gemeinsamen Tätigkeit in Esslingen. Heinrich Staehle, Chefdramaturg und Regisseur, war in dieser Zeit sicherlich der wichtigste Mitstreiter in Sachen Theater. Der Vorstand der Württembergischen Landesbühne hatte schon bei der Intendantenwahl Mut bewiesen, „Mut zum Außenseiter“, wie die regionale und überregionale Presse meinte, nachdem der jüngste Bewerber auch zum jüngsten Intendanten der Bundesrepublik gewählt worden war. Und mit viel Mut nahmen wir die Umsetzung des von uns vorgenommenen Fünf-Punkte Programms in Angriff.

Neu entwickelt wurde der Gesamtaspekt des Landesbühnenprogramms unter dem Stichwort „die Landesbühne, Ihr Stadttheater“, das eine ganze Reihe von Zusatzaktivitäten beinhaltet. Dazu gehört unserer Ansicht nach eine Öffnung des Theaters in jeder Hinsicht. Durch Volkshochschul-Vorträge und Diskussionen, Vor- und Nachgespräche über unsere Inszenierungen in Schulen und interessierten Kreisen, Möglichkeiten zu Probenbesuchen, Theaterbesichtigungen, Publikumskontakte aller Art boten wir Information und Theater als Diskussionsforum über die abendliche Vorstellung hinaus an. Dies eröffnete uns immer wieder die Möglichkeit, unsere Arbeit nachhaltig zu unterstützen, Interpretations- und Diskussionshilfe zu geben, selber für Kritik offen zu sein und, was uns ganz wesentlich erscheint, unsere Beziehung zum Publikum persönlich zu gestalten und auch unsere Arbeit als bewußt subjektiv und damit diskutierbar darzustellen.
Kurz: angriffig ohne falsche Aggression – unterhaltend, aber mit Hintergrund – Volkstheater ohne Volkstümelei – modern ohne Modernismen – realistisch, aber mit viel theatralischer Phantasie, so kann man unsere Vorstellungen von Theaterarbeit im Raum Nordwürttemberg/Hohenlohe umreißen.

Die erste Saison endete umjubelt mit einem Spektakel um den französischen „Kapitän Fracasse“ (Inszenierung Rolf Lansky) als Freilichtaufführung auf der Esslinger Burg. Auch bei dieser Inszenierung hatte der Bühnenbildner Peter Strnad seine Phantasie bewiesen, auch er gehörte zu den wichtigen Köpfen der ersten Jahre. Die neue Spielplankonzeption und Inszenierungen dieser ersten Saison fanden insgesamt fast ungeteilten Beifall.
In der Begeisterung dieses ersten Erfolgsjahres waren die Vorstellungszahlen von etwas über 500 auf über 600 Veranstaltungen gestiegen, ein vollkommen ausgepumptes Ensemble am Ende dieser Saison war das Ergebnis. Um eine vernünftige Relation zwischen Kunst und Kasse herstellen zu können, mußten wir die Vorstellungszahl unbedingt herabsetzen.

Durch die Schaffung einer zweiten Dramaturgenposition, die mit Susanna Kartusch, einer erfahrenen Dramaturgin des Kinder- und Jugendtheaters besetzt wurde, begann der mühevolle und hindernisreiche Weg eines Kinder- und Jugendtheaters, das sich nicht mehr den obligatorischen Weihnachtsmärchen verpflichtet fühlte, sondern die Richtung des „pädagogisch-emanzipatorisch-poetischen“ Theaters einschlug. Eine wichtige Hilfe auf diesem Weg war der Arbeitskreis „Schule und Theater“, der zu dieser Zeit gegründet wurde.

In der Saison 1977/78 begann sich das Kindertheater schon in seiner künftigen Gestalt abzuzeichnen, wie bereits in der vorangegangenen Saison wurden speziell für die Kinderstücke Gäste engagiert. Erstmals wurde der Versuch unternommen, zwei Stücke für Kinder anzubieten, um die Konzentration auf das „Weihnachtsstück“ zu durchbrechen. Dokumentiert wurde die neue Richtung auch durch die Stückauswahl, nämlich F.K. Waechters „Schule mit Clowns“. Dieses Stück inszenierte Mauro Guindani, der sich in den folgenden Spielzeiten als der stilbildende Regisseur für das neue Kindertheater herauskristallisieren sollte. Das zweite Stück des Kindertheaters „Kikerikikiste“ von Paul Maar, war in zweifacher Hinsicht für die Arbeit des Kinder- und Jugendtheaters wichtig. Die Inszenierung von Dominik Neuner wurde im Juni 1978 unter Berücksichtigung des Gesamtaspekts unseres Kinder- und Jugendtheaterprogramms zum Rahmenprogramm des Berliner Theaterfestivals eingeladen. Damit begann auch der direkte Kontakt zum Autor Paul Maar. Übrigens wurde an der Pädagogischen Hochschule Esslingen in diesem Jahr zum ersten Mal in Baden-Württemberg ein Diplom-Aufbaustudium für Spiel- und Theaterpädagogik mit Kräften der WLB angeboten.

Eine besondere Blume im Theaterstrauß der WLB war das neugegründete Marionettentheater von Wilhelm Preetorius. Wir konnten durch die verstärkte Arbeit im Studio Preetorius seinen lange gehegten Wunsch eines Marionettentheaters erfüllen. In einer ganzen Reihe von hervorragenden Aufführungen hatte er sehr rasch ein, zwar leider relativ kleines, aber außerordentlich treues und begeistertes Stammpublikum gewonnen, bis zu seinem Abschied zum Ende der Spielzeit 1979/80.

1977 begann auch die Idee eines Theaterneubaus wieder Gestalt anzunehmen. Durch die Möglichkeit des Ankaufs zweier anliegender Gebäude konnten erst Umbaupläne der stehenden Bauten, später dann der Vorschlag eines kompletten Neubaus rasch viele Mitstreiter für diesen Plan gewinnen. Geradezu in Rekordzeit passierten die Vorschläge die entsprechenden politischen Gremien von Stadt und Land. Und schon am 21. Dezember 1977 las man in der Esslinger Zeitung die Überschrift „Einmütig für Neubau an der Strohstraße“! Auch für eine zwischenzeitliche Spielmöglichkeit war gesorgt: die Osterfeldhalle in Esslingen-Berkheim sollte unsere Übergangsspielstätte sein, das dort leerstehende Alte Rathaus wurde zum Werkstattgebäude umfunktioniert. Damit wurde die Saison 1978/79 zur letzten im alten Stadttheater an der Strohstraße.

Nach zwei Jahren intensiver und aufreibender Tätigkeit brauchte unser Leitungsteam selbst wieder neue Impulse. Und die brachte mit Vehemenz der neu engagierte Oberspielleiter Markwart Müller-Elmau, mit dem ich schon in Freiburg fünf Jahre zusammengearbeitet hatte. Damit begann auch eine Zeit äußerer und innerer – überwiegend produktiver! – Unruhe des Theaters in Esslingen. Als Spielzeit-Motto stand folgender Satz von Beaumarchais: ‚Man kann die Menschen nur ändern, indem man sie zeigt, wie sie sind. Laster, Mißbrauch und Willkür ändern sich nicht, sondern verstecken sich unter tausend Formen hinter der Maske der herrschenden Sitten.‘
Diese Saison brachte mit Brechts „Leben des Galilei“ mit Rolf Lansky in der Titelrolle, den größten Publikumserfolg der Nachkriegszeit mit allein rund 24.000 Besuchern. Dazu kam der bis dato größte überregionale Erfolg mit Harald Müllers „Frankfurter Kreuz“ bei den Baden-Württembergischen Theatertagen 1979 in Karlsruhe. Auch dieses Uraufführungsprojekt war wieder von Heinrich Staehle betreut und inszeniert worden. Im Bezug auf „Frankfurter Kreuz“ stellte „Die Zeit“ fest: „Die Provinz ist nicht mehr provinziell!“ Mit der Einladung zum „Internationalen Festival der Klein-Theater“ in Bern im Juni 1979 mit Brigitte Schwaigers „Nestwärme“ fand unser Bemühen um junge deutsche Autoren wiederholt Anerkennung.

Das Kindertheater hatte sich vor allem mit dem Stück „Papa, ich will auch noch den Mond haben“ von Guido Stagnaro (Regie Mauro Guindani) weiter in Richtung des poetischen Theaters entwickelt, so daß die Stuttgarter Zeitung im August 1979 in einer kritischen Auseinandersetzung mit den Kindertheateraktivitäten in Baden-Württemberg bereits in der Artikelüberschrift befand: „Beispielhaft Esslingen“.
Da sich auch noch für das Jahr 1980 die Bereitstellung von zusätzlichen Subventionen für eine endgültig eigenständige Kinder- und Jugendtheatertruppe durch Land und Stadt abzeichnete, kann man mit gutem Gewissen behaupten, daß in diesen drei Jahren fast alle unsere Zielpunkte erfüllt waren.

Außerdem wurde in dieser Saison der einst legendäre Esslinger Theaterball wieder ins Leben gerufen. Ein rauschendes Abrißfest zum Abschied vom alten Theater an der Strohstraße, bei dem sage und schreibe rund 1.500 Gäste das Haus bis zum Bersten füllten und das vom gesamten Ensemble künstlerisch und organisatorisch getragen wurde, war sozusagen der Höhepunkt und Abschluß dieser ungeheuer drängenden, pulsierenden, risikofreudigen, von jugendlichem Übermut getragenen Arbeit dieser drei Jahre.

Mit dem Abriß des alten Hauses und dem Umzug in das Ausweichquartier Osterfeldhalle begann für das Ensemble eine außerordentlich schwierige Zeit. Die Osterfeldhalle erwies sich als atmosphärisch, akustisch und technisch äußerst schwer zu bespielenden Raum. Ich bewundere das Publikum, das uns drei Jahre lang in dieser Halle die Treue gehalten hat. Denn trotz der Unzulänglichkeiten des Anfahrtsweges (die Osterfeldhalle liegt ganz am Rande von Esslingen) war immer noch eine aufsteigende Tendenz der Abonnentenzahlen festzustellen. Von 1976 bis 1981 stiegen diese Zahlen von 2357 auf 3733 Abonnenten. Durch eine Reduzierung von zehn auf acht Premieren im Erwachsenen-Spielplan der Osterfeldhalle mußte natürlich auch eine Reduzierung der Gesamtvorstellungs- und Zuschauerzahlen in Kauf genommen werden. Insgesamt erreichten wir aber eine vernünftige Relation zwischen Probenzeiten, Vorstellungszahlen, Besucherzahlen und Einnahmen.

Die Saison 1980/81 schließlich war die problematischste Zeit unserer Arbeit in Esslingen.
Aus der Rückschau muß ich feststellen, daß diese Spielzeit mit ihren künstlerischen Ergebnissen, als auch vor allem mit dem Zustand des Ensembles das psychische Tief aller an diesem Theater Arbeitenden zeigte. Die Schwierigkeiten organisatorischer Art, die tagtäglich auch in die künstlerische Arbeit hineinreichten, dazu das absolute Fehlen von Kommunikation – manche Ensemblemitglieder sahen sich wochen-, ja monatelang nicht -, die Unzufriedenheit mit den eigenen Leistungen und die Ablehnung einzelner Stücke und Inszenierungen durch das Publikum führten zu einer echten Zerreißprobe. Daß wir diese Zeit dennoch einigermaßen gut überstanden haben, ist letztlich einem doch immer wieder enormen Willen aller Beteiligten zuzuschreiben, gerade in dieser schwierigen Phase nicht das Handtuch zu werfen und trotz allem zu versuchen, künstlerisch akzeptabel zu arbeiten. Dies kann man nur mit höchster Bewunderung feststellen. Was in dieser Zeit Technik wie künstlerisches Personal geleistet haben, ist von Außenstehenden gar nicht zu ermessen.

Trotzdem brachte gerade diese Spielzeit wieder, wenn auch sehr vereinzelt, Höhepunkte! Mauro Guindanis Offenbach Revue „Als ich noch Prinz war von Arkadien“, ein Uraufführungsprojekt mit der Musik von Matthias Thurow, das sich im Wahljahr mit den Mächtigen der Bundesrepublik ironisch-kritisch auseinandersetzte, brachte extreme Publikumsreaktionen und wieder politischen Ärger. Sogar bis in den Landtag drang die Forderung nach Kürzung der Subventionen wegen der zu starken politischen Einfärbung der WLB. Zum Glück für die WLB wies das Ministerium für Wissenschaft und Kunst dieses Ansinnen souverän und eindeutig zurück. Wie überhaupt gerade von dieser Seite unsere Arbeit immer wieder einen klaren und starken Rückhalt erfuhr.

Den größten internationalen Erfolg konnte die WLB mit dem Großen Preis „Cau ferrat“ beim 12. Internationalen Festival für modernes Theater in Sitges/Spanien erringen. Damit hatte die Württembergische Landesbühne vor allem überregional in der Bundesrepublik ihren Ruf gefestigt. „Bremer Freiheit“ von Fassbinder in der Inszenierung von Dominik Neuner mit Ursula Cantieni als Geesche Gottfried hatte der WLB diesen Preis eingebracht.
Das wesentlichste und erfreulichste Ereignis der Saison 1980/81 war die Gründung des eigenständigen Kinder- und Jugendtheaterensembles unter der Leitung der Dramaturgin Susanna Kartusch und mit Mauro Guindani als leitendem Regisseur. Acht Schauspieler, darunter auch ein an der Pädagogischen Hochschule Esslingen ausgebildeter Theaterpädagoge, und drei Techniker bildeten den Stamm. Erstaunlicherweise gelang es diesem Ensemble innerhalb kürzester Zeit über Inszenierungen wie „Der Kreis aus Weidenruten“ von Maurice Yendt (Bearbeitung Susanne Kartusch, Regie Mauro Guindani), der Linie des poetischen Theaters verpflichtet, und dem sich mit unserer Realität auseinandersetzenden Grips-Stück „Ein Fest für Papadakis“ (Regie Holger Scharnberg) für Jugendliche und vor allem mit Paul Maars „Mützenwexel“ (einer Auftragsarbeit der WLB) einen faszinierenden eigenen Stil zu entwickeln. „Mützenwexel“, bei den Baden-Württembergischen Theatertagen 1981 – die dem Schwerpunkt Kinder- und Jugendtheater gewidmet waren – in Tübingen uraufgeführt, wurde geradezu enthusiastisch bejubelt. Diese äußerst fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Autor und Ensemble wird mit Paul Maar als fest engagiertem Hausautor in der Saison 1982/83 noch konsequenter weitergeführt.

Auch in der Spielzeit 1981/82 konnte die Truppe ihre Arbeit ebenso erfolgreich fortsetzen. „Die Theaterspielmaschine“ von Maurice Yendt und ganz besonders die Uraufführungen eines vom Ensemble entwickelten und geschriebenen Jugendstückes „Alles ist machbar, Herr Nachbar“ bestätigen, wie richtig und wichtig die Bildung eines eigenständigen Ensembles für diese in der Bundesrepublik leider nach wie vor so vernachlässigte Sparte „Kinder- und Jugendtheater“ ist.

Weitere erfreuliche Entwicklungen in der Zeit meiner Intendanz: 1976 wies die Gehaltsliste der WLB 96 fest engagierte Mitglieder in allen Bereichen auf, 1981 sind 122 feste Positionen vermerkt, 13 durch die Zusatz-Subventionierung im Kinder- und Jugendtheaterbereich und 13 aus Eigeneinnahmen der WLB. Diese Positionen wurden in der Dramaturgie, bei den Regisseuren, Bühnenbildnern, Assistenten etc. und bei der Bühnentechnik geschaffen. Die Gagen der künstlerischen Mitglieder der WLB konnten, nicht zuletzt durch die Erhöhung der Subventionen des Württembergischen Gemeindekulturverbandes, auf die Höhe eines mittleren Stadttheaters (Vergleich Heidelberg/Freiburg) gehoben werden.

Ebenfalls konnte in dieser Zeit erreicht werden, daß die noch verbliebenen zwölf Orte, in denen die WLB aus alter Tradition auf eigenes Risiko spielte, in Orte mit festem Honorar umgewandelt wurden. Das Richtfest des Theaterneubaus im Mai 1981 bezeichnet so etwas wie eine Wendemarke. Das neue Haus und damit auch wieder vernünftige Arbeitsmöglichkeiten waren in Sichtweite gerückt. Diese letzte Saison in der Osterfeldhalle zeigte sowohl künstlerisch wie auch in der Psyche des Ensembles eine deutliche Aufwärtstendenz. Vor allem wurde unser intensives Bemühen um deutschsprachige Autoren der Gegenwart sowohl vom Publikum als auch von der Presse in dieser letzten Spielzeit vor Eröffnung des neuerbauten Theaters akzeptiert. Mit Autoren wie F.X. Kroetz („Strammer Max“), Gerlind Reinshagen („Himmel und Erde“), Martin Sperr („Jagdszenen aus Niederbayern“) und Fitzgerald Kusz („Stinkwut“) hat die WLB zeitgenössische deutsche Autoren im Bewußtsein des Publikums zum festen Bestandteil ihres Spielplans gemacht. Eine Spielplanübersicht dieser vergangenen sechs Jahre von 1976 bis 1982 weist sechs Uraufführungen, eine Deutsche Erstaufführung, 63 Esslinger Erstaufführungen und nur 18 Neuinszenierungen für den Bereich der Württembergischen Landesbühne auf.

Wir haben damit nicht nur unserem Publikum einen großen Bereich deutscher und ausländischer Literatur erstmals zugänglich gemacht, sondern unserer Ansicht nach auch die 1976 aufgezeigte Spielplanlinie konsequent entwickelt. Daß dies bei immer klarerer Ausformung natürlich auch immer eindeutigere Polarisierungen von Pro und Kontra in der Meinung des Publikums mit sich bringen würde, war uns bewußt.
Das wesentlichste Element am Theater ist die Phantasie. Hat sie doch die aufrührende Kraft, scheinbar festgefügte Wertsysteme zu erschüttern. Die Empfindlichkeit, mit der unsere heutige Gesellschaft häufig auf Theater reagiert, wenn man ihren Nerv trifft, der offensichtlich in einer Zeit zunehmender Rationalisierung eigener Probleme sehr schwach ist, zeigt die Notwendigkeit solchen Theaters. Das Theater darf sich nicht in die Rolle drängen lassen, besänftigend zu wirken, ja nicht zu stören. Das wäre der Tod des Theaters.

Im ersten Artikel, der nach meiner Wahl zum Intendanten der WLB 1976 über meine Theaterauffassung und Zielsetzung in der „Esslinger Zeitung“ geschrieben wurde, fand der Kritiker die Überschrift „Kämpferische Toleranz“. Ich war damals sehr froh, daß diese Grundhaltung so einfach und klar ausgedrückt worden war. Toleranz bedeutet aber in meinen Augen nicht, keinen Standpunkt einzunehmen und dadurch allen und letztlich doch wieder niemandem gerecht zu werden; Toleranz bedeutet, einen klaren Standpunkt zu vertreten und für die Freiheit aller anderen möglichen Standpunkte einzutreten, ohne den eigenen zu verlieren. Mirabeau schrieb 1789 einmal an einen der gegnerischen politischen Partei angehörenden Abgeordneten: “Ich bin zwar durchaus anderer Meinung als Sie, aber ich werde mein Leben lang dafür kämpfen, daß Sie Ihre Meinung äußern dürfen“. Diese Auffassung von Toleranz und die gesamte damit ausgedrückte Grundhaltung von meinem Theaterverständnis bedeutet, daß wir im Theater immer wieder Themen und Probleme aus den verschiedensten historischen Zeiten auf die Bühne bringen werden, die in Bezug auf uns heute und hier einen Ansatz zur Auseinandersetzung bieten.“

(Achim Thorwald, in: Stadttheater Esslingen, Sitz der Württembergischen Landesbühne, Festschrift anlässlich des Neubaus 1982, S.112 ff., hier in gekürzter Form)

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